Wie die unterschiedlichen Wahrnehmungen aufgrund unserer Geschichte unser Verständnis in und von Beziehungen beeinflussen

 

 

Wenn zwei Menschen einander begegnen und beschließen einen gemeinsamen Weg zu nehmen, sind es nie nur diese zwei Menschen die miteinander gehen, sondern immer auch zwei Familiensysteme, die aufeinander treffen. In all ihrer Unterschiedlichkeit die sie ausmachen. Verschiedene Geschichten, Herkunft, Kultur, Glaube, Rollenbilder.

 

 

 

Anfangs, in der ersten Einheit und Verliebtheit glauben wir noch, dass das für uns keine Rolle spielt. Aber das tut es, für jeden von uns, denn die Muster die uns prägen, wirken. Und nicht nur die Muster. Aufgrund unserer Geschichte, mit all ihren guten und herausfordernden Seiten, und in welchem Umfeld wir groß geworden sind haben wir uns Verhaltensweisen angelernt die sehr tief sitzen. Dazu kommen auch Definitionen über das Leben und Partnerschaft die wir erlernt und übernommen haben. Wichtige Bestandteile einer Beziehung, wie Nähe, Treue, Intimität, usw. sind davon betroffen. Wir alle glauben zu Beginn, dass unsere meist nur gefühlten und oftmals mit dem Verstand nicht ganz klar fassbaren Definitionen allgemeinen Gültigkeit haben.

Irgendwie halten das alle unbewusst für selbstverständlich, weil es eben unsere einzige Wahrnehmung ist und wir uns oftmals gar nicht vorstellen können, dass noch etwas anderes existiert. Wir kennen im Normalfall in jungen Jahren nichts anderes als unser Weltbild, das in den allermeisten Fällen von der Familie übernommen wird. Noch dazu ist es in unserer Gesellschaft leider nicht üblich, sich über diese Dinge offen auszutauschen.

 

 

 

Erst wenn dann zum Beispiel im Streit diese Welten aufeinander prallen stehen wir da und kennen uns nicht mehr aus. Wir versuchen dann das Verhalten vom Gegenüber durch unseren Raster zu bewerten und das kann nur zum Scheitern führen, wodurch wir uns oft zutiefst verletzt fühlen oder unser Gegenüber verletzen.

 

Das kann auch schon der Fall sein, wenn einem Menschen in der Beziehung gewisse Kleinigkeiten wichtig sind, weil er oder sie sich dadurch gesehen oder geliebt fühlt (oder eben missachtet) und der andere die Bedeutung nicht erkennt. Zum Beispiel kann ein liebevoll zubereitetes Essen wenn der Partner gerade diesen Abend nur alleine sein will, ein starkes Gefühl der Zurückweisung auslösen. Besonders beliebt für Missinterpretationen sind auch Geschenke aller Art.

 

 

 

Auch der Gestaltung der Schlafsituation kann besondere Bedeutung zukommen , wenn in einer Familie das gemeinsame Bett ein Zeichen für das Funktionieren einer Beziehung ist und der andere Partner lieber alleine schlafen möchte.

 

Da ist Offenheit und Wertschätzung gegenüber den verschiedenen Empfindungen gefragt, um aus den verschiedenen Prägungen etwas gemeinsames zu erschaffen mit dem sich alle wohl fühlen.

 

 

 

In alltäglichen Dingen können wir auf Erfahrungen und Erinnerungen zurückgreifen die uns unser Verhalten oft erklären können. Noch schwieriger wird es aber wenn es um Sexualität geht. Immer noch wird in den wenigsten Familien offen über das Thema Sexualität gesprochen, weshalb wir da, besonders am Anfang, sehr auf uns alleine gestellt sind. Dabei wirken wenn es um Körper und Intimität geht alle angenehmen und unangenehmen Prägungen noch direkter und noch unbewusster.

 

Da kann es schon passieren, dass Probleme in der Intimität über lange Zeit gären, weil keiner so richtig darüber reden kann.

 

 

 

Was dann ganz deutlich zum Vorschein kommt, wenn ein Paar beschließt die Beziehung zu öffnen. Sobald es um Körper, Nacktheit, Nähe, Sexualität geht, sind wir ganz schnell an unseren tiefsten Verletzungen dran. Es können dann Gefühle von mangelndem Vertrauen, nicht genug sein, Verlassensängste oder vieles mehr auftauchen.

 

Wichtig ist auch die Klärung der Frage „was bedeutet Intimität?“

 

Was ist es, wenn wir Sex auch mit anderen ausleben können und wollen, was ist es dann, das unsere Paarbeziehung von den anderen Begegnungen abhebt, was macht sie einzigartig?-

 

Denn sind wir uns ehrlich, fast alle Menschen sind auf der Suche nach jemanden, der ihnen das Gefühl gibt einzigartig zu sein.

 

 

 

Da geht es im Erleben ganz stark um die individuellen Gefühle, um die Prägungen die wir meist schon in der frühen Kindheit erfahren haben.

 

Deshalb können beide Seiten eines Paares nach außen scheinbar gleiche Handlungen vollziehen aber so unterschiedlich empfinden, dass es nicht vergleichbar ist. Das wäre ja an sich kein Problem. Allerdings passiert auf der Ebene sehr viel unbewusst und kann dadurch natürlich auch nicht mitgeteilt werden. Da der Partner niemals in meiner Realität leben kann, weiß er auch nicht was wir erleben; das heißt wie kann ich ihm vermitteln, dass das was anderes ist für mich, obwohl es von außen gesehen gleich wirkt?

 

Da hilft nur Selbsterkenntnis die es mir infolge auch ermöglicht mich mitzuteilen. Denn Klarheit bringt erst das Bewusstsein, woher diese Verletzungen kommen und dass sie schon ganz alt sind

 

 

 

Problematisch ist auch, solange es unbewusst wirkt und nicht ausgesprochen wird, wenn für den einen Sex prinzipiell als einziger Gradmesser für Intimität herhalten muss und für den anderen das Rundherum, viel Zeit verbringen, Kuscheln, Reden, Nähe, viel mehr Intimität bedeutet als einfach „nur Sex“. Dann sind Verletzungen aufgrund eigener Interpretationen und Werte vorprogrammiert.

 

Dann macht sich sehr leicht Unverständnis breit, bei beiden. Endlose Gespräche können folgen, bei denen jeder versucht auf das Verständnis des anderen zu erwirken, damit sich der Knopf im eigenen Kopf (oder Bauch) endlich lösen kann. Der Knopf steht für die Verwirrung durch das unterschiedliche Erleben. Wir können uns dann einfach nicht erklären was das soll, vermuten Lügen vom Partner oder fühlen uns nicht gesehen und unverstanden.

 

Was zum Teil ja auch stimmt. Der andere sieht meine Geschichte und Gefühlsebene ja wirklich nicht. Und auch in langen Beziehungen kann es passieren, dass, obwohl die beiden sich so gut kennen, neue Situationen ganz neue Gefühle hervorbringen - beziehungsweise sind sie nicht neu sondern schon lange da, wurden aber nie richtig wahrgenommen. Ich glaube nach vielen Jahren Beziehung, wo wir annehmen den anderen in- und auswendig zu kennen, ist es oft noch schwieriger zu erkennen, dass das Erleben und die emotionale Bewertung ganz unterschiedlich ist.

 

Wir verstricken uns dann in endlosen Erklärungsversuchen die zu nichts führen außer Frustration, weil sich das gewünschte Verständnis und damit die Erleichterung auf keiner Seite einstellt.

 

 

 

Dann heißt es zurück auf eine andere Ebene und zu der Frage. Was bedeutet es für mich? Welches Bedürfnis steckt dahinter, welche Motivation und Intention. Da ist es auch hilfreich die Vergangenheit zu beachten. Wie wurde das in meiner Familie gelebt? Welche Bedeutung hatte das z.B. für meine Eltern, was haben sie mir vorgezeigt? Welche Werte waren in diesem System vorherrschend? Habe ich sie übernommen, oder will ich vielleicht sogar den Gegenpol leben?

 

Gerade wenn es um Sexualität und die dahinter liegenden Bedürfnisse geht, und das tut es viel öfter als wir an der Oberfläche annehmen würden, sind wir geprägt von unserer Kindheit und das sehr unbewusst, weil die Bindungsprägung lang vor dem bewussten Erleben erfolgt.

 

Da gibt es auch keinen 3-Schritte Plan zum Erfolg. Wer das klären will darf sich auf einen längeren Prozess einlassen. Meist sind den Menschen die Bedürfnisse, die sie in Beziehungen haben gar nicht bewusst. Und erst recht nicht, wie sie diese befriedigt haben wollen oder können.

 

Solange wir das aber nicht wissen, werden wir mit jedem Partner an genau demselben Punkt landen und in der Beziehung scheitern - oder nie wirklich glücklich sein.